Die Mennonitische Brüdergemeinde in Lage (hiernach „MBG Lage“) ist eine Gemeinde mit einer reichen und abwechslungsreichen Geschichte. Sie hat sich von Anfang an dem missionarischen Auftrag Gottes verschrieben: „Geht hin in alle Welt und verkündigt allen das Evangelium“ (Markusevangelium 16,15). Dieser Ausrichtung ist sie trotz mancher Rückschläge bis heute treu geblieben. Sie wollte immer eine Heimat für Menschen aus Ost und West sein, und viele haben in ihr ein neues Zuhause gefunden. Die missionarischen Bemühungen zogen daher stets Menschen verschiedener Kulturen an. Diese Entwicklung stellte die Gemeinde zwangsläufig in jene, bereits im Neuen Testament bekannte, Spannung zwischen der Notwendigkeit eindeutiger biblischer Lehre einerseits und Anpassungsfähigkeit in der Gestaltung des christlichen und gemeindlichen Lebens andererseits. Diese Spannung ist nicht nur menschlich sondern notwendig und gut für uns, weil sie unaufhörlich auf die helfende Gnade Gottes beim Gelingen von Beziehungen hinweist.
Im Jahre 1954 kamen die ersten zukünftigen Gemeindeglieder der MBG Lage aus Südamerika nach Deutschland. In den folgenden 10 Jahren kamen immer mehr Rückwanderer über das Lager Friedland in das Lager Stukenbrock. Manche schlossen sich der Mennonitischen Brüdergemeinde in Neuwied an, andere trafen sich in Hauskreisen ohne Gemeindeanschluss. Sie wurden zuerst vom Prediger Jacob Vogt und später von Hugo Jantz, dem Pastor der Gemeinde in Neuwied, betreut. Doch eine befriedigende Lösung war das nicht, dazu waren die Entfernungen zu groß.
Aus diesem Grund gab es am 23. September 1962 ein Treffen aller Interessenten unter der Leitung von Hugo Jantz und Abram Neufeld, dem damaligen Vorsit-zenden der Mennonitischen Brü-dergemeinden in Deutschland. Zwei Monate später trafen sich schon etwa 23 Erwachsene und 15 Kinder zum Gottesdienst.
1963 wurde George Jantzen, Leh-rer an der Bibelschule Brake, von der Bundesleitung der Mennoni-
tischen Brüdergemeinden gebeten, sich der Gruppe im Raum Bielefeld / Lage anzunehmen.
Im Winter 1964/65 bat die Gruppe unter der Anleitung von George Jantzen die Missionsbehörde der Mennonitischen Brüdergemeinden in Nordamerika darum, Jacob und Martha Vogt nach Lage zu beru-fen, um bei der Organisation und dem Aufbau der neuen Gemeinde mitzuhelfen. Im September 1965 kam das Ehepaar Vogt nach Lippe und begann mit wöchentlichen Hausbibelstunden bei verschiedenen Familien. Im Herbst 1965 besuchten bereits mehr als 30 Personen den monatlichen Gottesdienst, so dass beschlossen wurde, einen Saal zu mieten und mit sonntäglichen Gottesdiensten zu beginnen. Der erste Gottesdienst in der Schule in Müssen wurde gefeiert und Weihnachten 1965 zählte man schon 88 Gottesdienstteilnehmer.
Das Protokoll der Gemeindestunde vom 9. Januar 1966 bezeugt den ausdrücklichen Willen der 25 anwesenden Glieder zur Gründung einer selbständigen Gemeinde. »Es wurden verschiedene Ämter bestellt« - schreibt Jacob Vogt in einem seiner Briefe aus dieser Zeit. Prediger und Gemeindeleiter wurde Bruder Vogt, der auch die Kinder- und Jugendarbeit übernahm.
Die Gründer der Gemeinde nannten besonders zwei Anliegen, die das Leben der neuen Gemeinde bestimmen sollten: Sammlung der Rückwanderer und Mission. Deshalb wurde beschlossen, monatlich einen Missionsgottesdienst abzuhalten und die Kollekte am ersten Sonntag des Monats für die Aufgaben der Aussenmission zur Verfügung zu stellen. Ganz wichtig erschien den Gründern der Gemeinde auch der Erwerb oder die Errichtung eines eigenen Gemeindehauses. Noch vor der eigentlichen Gemeindegründung wurde der 3. Sonntag im Monat zur Sammlung freiwilliger Gaben für diesen Zweck bestimmt.
Am 1. Mai 1966 fand in der Bibelschule Brake der Gründungs-gottesdienst statt. Zur Feier, die im Rahmen eines Missionsfestes stattfand, wurden eine Reihe von Geschwistern aus den benach-barten Freikirchen eingeladen. Die Bibelschullehrer George Jantzen und Benjamin Braun dienten als Festredner. Dieser Gottesdienst wurde zu einem wichtigen Höhepunkt für die weitere Entwicklung der jungen Gemeinde. Jacob Vogt schrieb am 25. Mai 1966 im Antrag zur Aufnahme der Gemeinde in die Konferenz der Mennonitischen Brüdergemeinden in Deutschland: »Die Gemeinde zählte am 1.5.1966, am Abschluss der Organisationszeit, 38 Glieder mit 16 Familienhäuptern. Zwölf Glieder aus weiteren zehn Familien gedenken sich der Gemeinde anzuschließen, sobald die angeforderten Mitgliederscheine eingetroffen sind und weitere Einzelheiten geregelt werden können.«
Die MBG Lage hat eine wahrlich bewegte Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte. Hier in Lage flossen drei Ströme zusammen, die eine Gemeinde entstehen ließen.
Zunächst waren es deutsche Rückwanderer aus Südamerika, die in den Jahren 1947-1948 nach Paraguay, Uruguay, Argentinien und Brasilien ausgewandert waren. Einige von ihnen fanden in den 60er Jahren den Weg zurück in die Bundesrepublik, brachten dabei auch ihre besonderen Lebenserfahrungen und Gemeindevorstellungen mit. Von Anfang an war die Evangelisation eines der wichtigsten Ziele der entstehenden Gemeinde.
Dann fanden auch “echte Lipper” zum persönlichen Glauben an Jesus und schlossen sich der Gemeinde an. Auch sie brachten ihre persönlichen und kulturellen Vorstellungen mit in die Gemein-de.
Schließlich begann Ende der 60er Jahre die massive Auswanderungswelle der deutschen Bevölkerung aus der damaligen Sowjetunion. Diese Umsiedler, wie sie genannt wurden, kamen auch nach Lage. Viele von ihnen gehörten bereits in ihrer Heimat einer Evangelischen Freikirche an. Sie schlossen sich der Gemeinde an und prägten sie entscheidend mit.
Von nun an würde die junge Freikirche zwei herausfordernde Aufgaben erfüllen müssen: Die Integration verschiedener Prägungen in ein einheitliches Gemeindeleben sowie die Evangelisation. Sie fand auch schnell ihren Platz in der Gemeinschaft der Evangelischen Allianz in Lage. Noch in ihrem Gründungsjahr 1966 beteiligte sich die Gemeinde an der Durchführung einer Zelt-evangelisation mit dem Janz-Team in Bielefeld. Vom 1. bis zum 8. Oktober desselben Jahres veranstaltete man eine Bibelwoche mit Dr. John A. Toews in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in Lage (Baptisten).
Die Gemeinde reifte im Glauben und wuchs zahlenmäßig. Im September 1966 wurde das erste Tauffest gefeiert. Sechs Personen ließen sich taufen. Am Ende des Jahres 1967 zählte die Gemeinde bereits 57 Mitglieder.
Anfang 1969 fand in Lage der erste Pastorenwechsel statt. Geschwister Vogt kehrten nach drei Jahren intensiven Einsatzes nach Nordamerika zurück. An ihre Stelle berief die Gemeinde John und Mary Klassen aus Kanada.
In der Zwischenzeit wuchs die Gemeinde so schnell, dass die Räume im Gasthaus Jägerkrug in Müssen, wo sie sich inzwischen zum Sonntagsgottesdienst versam-melte, zu klein wurden. Nach län-gerem Überlegen entschied die Gemeinde, in Lage selbst ein Ge-meindezentrum zu bauen. In der Zwischenzeit stellte die landeskirchliche Gemeinschaft im Gerstkamp und die Evangelisch-methodistische Erlöserkirche der Gemeinde ihre Räume zur Verfü-gung. Vom August 1969 bis zum Oktober 1975 führte die Gemeinde dort ihre Gottesdienste durch.
Der Wunsch nach einem eigenen Gemeindehaus stand Anfang der 70er Jahre für die Gemeinde im Vordergrund. Im Juli 1972 kaufte die Gemeinde den ersten Teil des Anwesens an der Ecke Dompfaffstraße – Falkenstraße. Nach und nach entstanden hier ein Predigerwohnhaus und das Gemeindezentrum. Am 12. Oktober 1975 wurde das Gemeindehaus eingeweiht. Am Bau des Gemeindezentrums beteiligten sich neben den Geschwistern aus der örtlichen Gemeinde auch Helfer aus Kanada und den USA. Die Stadt Lage unterstützte das Vorhaben der Mennonitischen Brüdergemeinde mit ausgesprochenem Wohlwollen. Die Gemeinde hatte nun ein prachtvolles Heim, und die Türen wurden weit geöffnet, um Menschen eine neue Heimat in Jesus Christus zu bie-ten. Gott segnete diese Offenheit der Geschwister, und so zählten sie am Ende des ersten Jahrzehnts 240 Mitglieder. John Klassen, der damalige Pastor, schrieb zum 10-jährigen Bestehen der Gemeinde: “Wir sind berufen, Salz und Licht der Welt zu sein. Dafür sind wir teuer erkauft mit dem Blute Jesu Christi und dazu sind wir mit dem Heiligen Geist begabt... zu ver-kündigen die großen Taten Gottes und Menschen zu Jüngern Jesu zu machen.
Auch im zweiten Jahrzehnt hielt die Gemeinde an der bei ihrer Gründung angenommenen Zielsetzung fest: Sie sammelte die Gläubigen, die inzwischen vorwiegend aus der Sowjetunion kamen, und sie intensivierte ihre missionarischen Bemühungen im In- und Ausland.
Es war nicht immer leicht, die nötige Balance in der Gemeinde zu wahren. Der bunte Strauß Gottes, den die Gemeinde in Lage darstellte, wurde immer wieder von Krisen bedroht. Kulturelle Unterschiede der Heimkehrer aus Südamerika und der Sowjetunion führten zu Spannungen. Doch die Gemeinde überstand alle Krisen, indem sie ihren eigenen Stil fand und an ihrem Hauptanliegen - der Mission - festhielt.
Ein großer Teil der Gemeindeglieder wohnte inzwischen im Großraum Bielefeld. So war es fast selbstverständlich, dass die Gemeinde hier mit ihren missionarischen Bemühungen ansetzte. Mitte der 70er Jahre konzentrierte man die Aktivitäten auf den südlichen Stadtteil Brackwede. Wiederholte missionarische Ein-sätze führten dann im Jahre 1977 zur Gründung der ersten Toch-tergemeinde in Bielefeld – Brackwede. 35 Lagenser Mitglieder konstituierten die neue Gemeinde, die im Laufe der Jahre stetig wuchs. Im Jahre 1979 gründeten Gemeindeglieder aus der MBG Lage eine weitere Gemeinde im Bielefelder Stadtteil Stieghorst. 54 Geschwister verließen die Gemeinde in Lage, um eine eigenständige neue missionarische Gemeinde in Bielefeld zu bauen. Heute zählt die Gemeinde im Stadtteil Sieker (die sogenannte „Casino-Gemeinde“) ca. 160 Mitglieder und die beiden Gemeinden arbeiten brüderlich zusammen in derselben Arbeitsgemeinschaft.
Anfang der 80er Jahre begann eine weitere Gruppe aus Lage mit Bibel- und Jugendstunden in einer gemütlichen Garage im Bielefelder Stadtteil Hillegossen. Von dort aus wagten 1982 einige Jugendliche, eine für die spätere Gemeinde so wichtige Teestubenarbeit anzufangen. In Zusammenarbeit mit der bekannten Jugendmissionsgesellschaft Operation Mobilisation wurden nun Wo-chenendeinsätze durchgeführt. Menschen kamen zum Glauben, und nach einer zweijährigen Vor-bereitungszeit gründete man die dritte Mennonitische Brüdergemeinde in Bielefeld-Oldentrup (heute Ev. Freikirche Immanuel).
Im Jahre 1983 wurde die missionarische Ausbreitung auf einer ganz neuen Art ergänzt. Durch Schenkung eines Schul-landheimes durch einen landeskirchlichen Verein in Gelsenkirchen erhielt eine übergemeindliche Gruppe von Christen aus Lippe kostenlos das Matthias-Claudius-Heim in Willingen / Hochsauerland. Unter maßgeblicher personeller und finanzieller Unterstützung der MBG Lage wurde das Heim nach und nach in ein sehr vielseitiges und schönes christliches Freizeitheim umgebaut. Drei Familien der MBG Lage arbeiten dort bis heute mit, darunter auch der jetzige Leiter des Heims und ehemaliger Pastor der Gemeinde, Johann Wiebe.
Mit den Gemeindegründungen ging es dann schon wieder 1986 weiter, als Mitarbeiter der MBG Lage damit begannen, sich im Raum Oerlinghausen–Greste regelmäßig zu treffen. Aus dieser Intitiative ist 1991 schließlich die Ev. Freikirche in Bad Salzuflen hervorgegangen.
Nach 13 aufopferungsvollen und prägenden Dienstjahren in der MBG Lage reisten John und Mary Klassen 1982 nach Amerika, um in Pasadena ein Weiterstudium zu beginnen. Die Gemeinde war inzwischen auf 300 Mitglieder angewachsen. Nun wurde aus den eigenen Reihen Johann Wiebe als neuer Pastor berufen. Er setzte fort, was die Gemeinde von Anfang an als Hauptziel verfolgt hatte, nämlich den missionarischen Gemeindebau, nun aber gezielter mit Weltblick.
Die 80er Jahre waren geprägt von vielen Evangelisationen im Raum Lage und Bielefeld, bei denen nicht nur Fremde zum Glauben fanden, sondern auch viele Gemeindekinder den entschei-denden Schritt im Glauben mit Jesus wagten. In dieser Zeit wurden auch fast alle heute noch tätigen Missionare der Gemeinde in alle Welt ausgesandt: John R. und Maria Klassen ins Münsterland 1980, Rudi und Anni Wiens in die Radiomission in 1982, Heinrich und Ruth Janzen nach Brasilien in 1983, Renate Müller als Kindermissionarin in Lippe in 1986, Uschi Bartel nach Kolumbien in 1987 und Georg und Rita Münch nach Dülmen / Münsterland in 1987. Über zwei missionarische Projekte ganz besonderer Art müssen wir nun auch berichten. Sie entstanden vor der eigenen Haustür hier in Lippe sowie im Münsterland.